Bis heute werden taube Menschen weltweit mit Testverfahren diagnostiziert, die für hörende Kinder und Erwachsene in der jeweiligen Laut- und Schriftsprache des Landes konstruiert wurden. Vielen ist nicht bewusst, dass die Deutsche Laut- und Schriftsprache (DLS und DSS) für Menschen, die in Deutscher Gebärdensprache (DGS) kommunizieren, Fremdsprachen sind. In Deutschland wurde im Laufe der 90er Jahre bekannt, dass neben den vielen Lautsprachen auch gebärdensprachliche Systeme zur Kommunikation existieren, sodass erst in 2002 DGS als natürliche Sprache der tauben Communities anerkannt wurde.
Eine zentrale Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 3 UN-BRK, vgl. Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, 2017) besteht in der ganzheitlichen Einbeziehung von Menschen mit unterschiedlichsten Formen der Behinderung und deren Teilhabe an der Gesellschaft ist. Speziell für die Zielgruppe von Menschen mit Hörbehinderung wird in der UN-BRK darauf hingewiesen, dass die Höreinschränkung mit einer besonderen Form der Kommunikation einhergehen kann, nämlich der gebärdensprachlichen, die nicht selbstverständlich mit der lautsprachlichen bzw. schriftsprachlichen Kommunikation hörender Menschen gleichzusetzen ist. Daher bedarf diese im Kontext von Inklusion eine ausdrückliche Berücksichtigung.
Die Modalität einer Sprache hat Auswirkungen auf die Organisation von Wissen. Die vokal-auditive Modalität der Lautsprache organisiert Wissen stärker linear-hierarchisch (paradigmatisch), was sich auch in der schriftsprachlichen Form der jeweiligen Sprache widerspiegelt. Die manuell-visuelle Gebärdensprache wiederum hat modalitätsbedingt eine völlig andere Grammatik im Vergleich zur Lautsprache, da sie sowohl den Raum, als auch die Visualität in effektiver Weise zur Kommunikation von Wissen nutzt. In Gebärdensprache kann ein Signer sein Wissen räumlich simultan organisieren, wobei die ikonischen Aspekte der gebärdensprachlichen Zeichen moduliert werden können, um zusätzliche Informationen zu transportieren (Inkorporation). Dies führt zu einer in vielen Aspekten andersartigen Struktur einer gebärdensprachlichen Vermittlung von Wissen (DeafDidaktik) und muss in der Testdiagnostik berücksichtigt werden.
Taube Menschen haben nicht nur aufgrund ihrer Hörbehinderung große Probleme Lautsprache zu verstehen, sondern sie haben darüber hinaus auch Probleme, Schriftsprache zu erlernen. Hörende erwerben in der Regel die Schriftsprache (zumindest bei Alphabetschriften) über das Hören, indem den gehörten Phonemen der Lautsprache die entsprechenden Grapheme der Schriftsprache zugeordnet werden. Taube Menschen hingegen müssen die Schriftsprache erlernen, indem sie die visuelle schriftsprachliche Form eines Wortes ganzheitlich memorieren. Die Zuteilung von Graphemen zu Phonemen kann aufgrund der Hörbehinderung nicht vorgenommen werden. Die Schriftsprache bleibt somit für taube Menschen eine lebenslange Herausforderung.
Studienergebnisse des LuF Gesundheitspsychologie bezüglich beruflicher Teilhabe weisen darauf hin, dass hörende Menschen gegenüber der Anstellung von hörbehinderten Bewerbern im Arbeitskontext große Bedenken äußern, weil sie feststellen, dass diese Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. Schlechte Lese- und Rechtschreibfähigkeiten werden oftmals mit verminderten kognitiven Fähigkeiten assoziiert und die Bewerber mit Hörbehinderung bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend schlecht eingestuft. Schriftsprachliche Testverfahren bestätigen diesen Eindruck, weil mit jeder Testung in dieser Form eher schriftsprachliches Anweisungsverständnis getestet wird, als das eigentliche Merkmal der Intelligenz, wie beispielsweise Gedächtniskapazität oder Logisches Denken.
Aus diesen Gründen stößt schriftsprachliche und lautsprachliche Diagnostik bei der Zielgruppe hörbehinderter Menschen an ihre Grenzen, da diese das strukturelle Verständnis von Schrift- und Lautsprache voraussetzen. Legt man daher die konventionelle Testdiagnostik als Maßstab zugrunde, so wird man tauben und hörbeeinträchtigten Menschen nicht gerecht und im Grunde genommen erlauben diese Testergebnisse keinerlei Aussagen über die Kompetenzen eines Bewerbers oder einer Bewerberin. So kommt es zu einer Fehldiagnostik hörbehinderter Menschen gegenüber normal hörenden Personen. Diese steht nicht nur der beruflichen Teilhabe dieser Zielgruppe entgegen, sondern verstößt auch gegen ihre Persönlichkeitsrechte und ist somit rechtswidrig..
Aus diesen Gründen wird im Rahmen des Projektes TEBEK (Testverfahren zur Beurteilung berufsrelevanter Kompetenzen tauber und schwerhöriger Menschen) eine an den besonderen Bedarfen der Zielgruppe hörbehinderter Menschen angepasste Diagnostik entwickelt. Das Ziel des Projektes TEBEK besteht in der Entwicklung eines gebärdensprach- und schriftsprachlich basierten, kulturfairen und inklusiven Online-Testsystems zur Beurteilung berufsrelevanter Kompetenzen tauber und schwerhöriger Menschen. TEBEK kann sowohl Ausbildungsinstitutionen als Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden.
In dieser Phase steht die Konzeption der TEBEK-Testbatterie im Fokus:
Überprüfung bestehender ATBG-Testverfahren, Auswahl und Anpassung/ Modernisierung
Auswahl neuer Testverfahren
Konzeption neuer Testverfahren
Konzeption für die Auswertung der Testverfahren
In dieser Phase werden die ausgewählten Testverfahren der TEBEK-Testbatterie auf die Zielgruppe tauber und schwerhöriger Menschen angepasst:
Überprüfung DGS der ATBG-Tests, Fragebogen und Anleitung
Anpassungen und Neuaufnahme
Übersetzung und Evaluation der neuen Tests
Konzeption neuer Tests nach DeafDidaktik-Prinzipien
In dieser Phase wird das Design der TEBEK-Testbatterie und der zugehörigen Testverfahren überprüft und angepasst:
Design des Gesamttestsystems, Anamnese-Fragebogen und Anleitungen
Design der Testdurchführung und Auswertung
Design alter/neuer Tests & Testitems
Auslotung deafdidaktischer Aspekte
In dieser Projektphase steht die Programmierung von TEBEK und den verschiedenen Tests im Fokus:
Programmierung und Implementierung des Gesamttestsystems, Anamnese-Fragebogen und Anleitungen
Entwicklung verschiedener Testvarianten
Entwicklung automatischer Auswertung & Normierung
Mit dieser Phase werden die neu entwickelten Tests anhand von Teilnehmer*innen an der Testbatterie einer eingehenden testdiagnostischen Überprüfung unterzogen:
Kontinuierliche Pretests
Durchführung Evaluations- und Normierungsstudie
Validierung der Testbatterie
In dieser Phase wird das Projekt TEBEK den potenziellen Anwender*innen und der Fachöffentlichkeit bekannt gemacht:
Handbuch & Schulungsunterlagen
TEBEK-Workshops
Präsentationen & Veröffentlichungen
Präsentationen & Fachvorträge